Aufrufe
vor 2 Jahren

Leseprobe CONNEXI 2020-3 Infektiologie

  • Text
  • Khaykin
  • Corona
  • Hiv
  • Corona
  • Behind
  • Schleenvoigt
  • Meemken
  • Backmund
  • Brockmeyer
  • Viehweger
  • Rockstroh
  • Baumgarten
  • Pifeltro
  • Delstrigo
  • Biktarvy
  • Infektiologie
  • Connexi
  • Doravirin
fachmagazin infektiologie, hiv, aids, hepatitis, corona, covid-19

INTERVIEW interpretiert

INTERVIEW interpretiert werden. Beispielsweise bei den sehr unterschiedliche Testkriterien in unterschiedlichen Ländern fragen sich Betroffene natürlich, soll ich mich testen lassen, ist es sinnvoll oder nicht, wann sollte getestet werden, wer testet? Wann gehöre ich zu einer Risikogruppe? Wer entscheidet das? Wann habe ich ein Risiko? Das ist alles nicht so ganz klar und für derartige Aufklärung brauchen die Patient*innen Informationsformate, die es jetzt gerade zu wenig gibt. Wie begegnen Sie persönlich diesem Problem? Ich versuche individuell aufzuklären. Das heißt, wenn Menschen mit immunkompromittierenden Erkrankungen wie HIV kommen, dann schaue ich das Blutbild an und erkläre, dass die Medikamente nicht immunsupprimierend sind, sondern im Gegenteil, stabilisierend. Ich spreche über die CD4-Zahlen, über bisher getroffene Vorsorgemaßnahmen, wie z. B. Impfungen. Ich kontrolliere, wie sieht das Immunsystem aus. Ist es geschwächt, hat der/die Betreffende also eine niedrige CD4- Zellzahl oder hatte schon einmal opportunistische Infektionen, dann zählt die Person schon eher dazu. Ebenso, wenn sich jemand frisch infiziert hat. Wenn es über lange Zeit jedoch nie Probleme, keine anderen Vor- oder chronische Erkrankungen gab, zählt HIV allein nicht als Risiko. Ich versuche dann, den Patient*innen Werkzeuge an die Hand zu geben, um sich stabil und gesund zu fühlen. Ich beruhige, indem ich erkläre, wer regelmäßig zu den Kontrollen da war und wirksam behandelt wird, wenn das Blutbild immer in Ordnung war, muss man sich keine Sorgen machen, das bestärkt die Menschen. Wie ist im Moment die (Akut- und Me di ka menten-) Versorgung/Testung/Beratung in den HIV- Schwerpunktpraxen geregelt? Das machen wir jetzt vorrangig online. Oder wir besprechen in einem Anamnesegespräch am Telefon, wie der aktuelle Zustand ist, ob es Bedürfnisse gibt, die dazu führen würden, dass man die Person in der Praxis sehen müsste. Die meisten HIV-Patient*innen sind ja immunologisch stabil. Hier können wir die Routinevorsorgeuntersuchung um vier, fünf Wochen nach hinten verschieben und ein Rezept an die entsprechende gewünschte Schwerpunktapotheke oder die Patient*innen direkt schicken. Hat allerdings jemand Beschwerden, Probleme, Symptome, Ausfluss, etwas, was nach STD aussieht oder wenn der/ die Betreffende von einem (Sexual-)Partner informiert wurde, dass dieser positiv getestet wurde auf irgendetwas, dann bestellen wir die Patient*innen immer noch ein, machen auch die Untersuchungen und bieten die Partnertherapie an. Wir wechseln natürlich jetzt jeden Tag unsere Oberteile, die gesondert gewaschen werden. Und wir tragen im direkten Patientenkontakt Masken. Auch wenn es kein 100 %iger Schutz ist. Bei Abstrichen, die im Rachen stattfinden, tragen wir zusätzlich Schutzbrillen. Auch eine PrEP-Beratung kann man online bzw. am Telefon durchführen, obwohl das sehr aufwändig ist, weil die persönliche Interaktion fehlt. Problematisch ist eine Blutabnahme. Man sollte gut eruieren, ob es im Umfeld der Person andere gibt, die zu einer Risikogruppe gehören, ehe man sie einbestellt oder solche Maßnahmen auch erst einmal verschieben. Hat durch die Einschränkungen im Praxisbetrieb die telemedizinische Behandlung einen Schub erfahren? Einen Schub erfahren telemedizi ni sche Konsultationen auf jeden Fall. Aber es ist be sonders in Deutschland nicht ganz einfach wegen des Datenschutzes. Wenn man jedoch z. B. feststellt, die Person braucht dringend ein Gesicht gegenüber, jemanden, 16

HIV UND SARS-COV-2 der sich eine Wunde oder die Haut anschaut, aber der/diejenige sollte nicht in die Praxis kommen, dann versucht man natürlich auch visuellen Kontakt über Bildschirm. Wir können das einrichten, selbstverständlich unter Einhaltung des Datenschutzes. Wir brauchen noch geeignetere Modelle und Applikationen, mit größerer rechtlicher Sicherheit. Das wird auch in Deutschland auf jeden Fall kommen. Zurzeit bin ich jedoch in der Regel noch „Madam Secretary“. Ich sitze den ganzen Tag nur am Telefon, fast alle Konsultationen laufen telefonisch, im 10- bis 15-Minuten-Takt. Wie gehen die Schweizer mit der „Corona situation“ um? Die meisten hier nehmen das alles sehr ernst. Das soziale Leben wurde massiv zurückgefahren. Es ist alles geschlossen. Und die Schweizer sind megadiszipliniert. Grundsätzlich wünschte ich mir, sie wären offener und respektvoller und das Narrativ wäre weniger auf Angst und Panik ausgerichtet. Hier schauen die Menschen schon argwöhnisch, wenn man zu zweit oder zu dritt auf der Straße unterwegs ist, und es werden schneller Vorwürfe gemacht. Das macht mir Sorgen. Was das Empfinden, die Ängste, Fragen und Sorgen der Patient*innen betrifft, deckt sich alles sehr mit dem, wie es in Deutschland ist. Und wir versuchen auch vom Checkpoint aus alles online zu machen. In der Schweiz darf man ja sogar Medikamente direkt nach Hause verschicken, so müssen die Leute nicht einmal in die Apotheke gehen. Welche Erkenntnisse nehmen Sie aus der Bewältigung dieses Ausnahmezustandes mit in die Zukunft? Ich nehme mit, wie sehr Angst und Panik die Denkprozesse und die Produktivität lähmen können; welch großen Einfluss ein Narrativ darauf hat, wie wir miteinander sprechen und miteinander umgehen. Für mich wäre jetzt wichtig, dass wir Angst und Panik nicht die Überhand gewinnen lassen, sonst verbauen wir uns unsere Kreativität, die Möglichkeit Ideen umzusetzen, wie man mit den Mitteln, die wir haben, irgendwie optimal arbeiten kann. Was jetzt zählt sind Fürsorge und Umsicht und dass man nicht mit dem Finger auf andere zeigt. Alles, was wir jetzt machen, was wir jetzt erleben, auch die negativen Erfahrungen, ist ja letzten Endes hilfreich im Sinne einer Lernkurve. Ich hoffe, dass wir nach Corona nicht weitermachen wie vorher, sondern dass wir uns für notwendige Verbesserungen einsetzen. Hätten wir in Deutschland zu Anfang schon ein stärkeres medizinisches System gehabt, und wäre da nicht so extrem gespart worden, dann hätten wir vermutlich gar keine Engpässe, z. B. bei Schutzmaterial und Beatmungsbetten, befürchten müssen. Wir sollten uns auch anschauen, in welchen Ländern hat das Ganze noch stärker zu Buche geschlagen, nicht nur bzgl. der Mortalität, sondern auch in Bezug auf die Virulenz, wie viele sind genesen usw. So dass man aus den Unterschieden in den verschiedenen medizinischen Strukturen und sonstigen Kulturen lernen kann und versteht, warum hat es einige Länder stärker getroffen als andere. Herr Dr. Viehweger, vielen Dank für das Gespräch. Die Fragen stellte Elke Klug. INTERVIEW 17

Connexi - Leseproben