HIV UND SARS-COV-2 Ausnahmezustand in Praxen mit infektiologischem Schwerpunkt Das aggressive SARS-CoV-2-Virus versetzt seit März dieses Jahres das Land, das Gesundheitssystem und jeden einzelnen Bürger in einen Ausnahmezustand. Praxen mit infektiologischem und HIV-medizinischem Schwerpunkt mussten sich kurzfristig darauf einstellen und auftretende Probleme kurzfristig lösen. Unterstützung erhielten sie dabei vor allem von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter e. V. (dagnä) als zentrale Vertretung niedergelassener HIV-Therapeuten und ambulant tätiger Infektiologen in Deutschland. INTERVIEW Hohe Flexibilität sichert die Versorgung „Die aktuelle Situation ist enorm herausfordernd, und die Arbeitsabläufe haben sich deutlich verändert“, beschreibt Dr. med. Axel Baumgarten, Mitglied des dagnä-Vorstandes und einer von zwölf Fachärzten im ZIBP, einer großen Praxis mit infektiologischem Schwerpunkt an drei Standorten in Berlin, die Gegebenheiten seit dem Beginn der Pandemie. Das Zentrum für Infektiologie Berlin Prenzlauer Berg (ZIBP) ist die erste von fünf geplanten COVID-Schwerpunktpraxen im Bereich der KV Berlin. Mit der rasanten Ausbreitung von SARS-CoV-2 (COVID-19) in Deutschland und der damit einhergehenden Verunsicherung im täglichen Umgang mit der neuartigen Erkrankung war es deshalb notwendig, auch in Berlin neue Wege zu beschreiten. „So haben wir beispielsweise einen Standort geschlossen und in eine Coronasprechstunde umgewandelt, versorgen dort betroffene Patienten mit coronaspezifischen Symptomen, inkl. Implementierung der Laboruntersuchungen, Abstriche, Telefonberatung. Wir hatten initial mit täglich mehr als 6.000 Anrufen, hunderten E-Mails und Textnachrichten einen enormen Anstieg der Kontaktanfragen, was den Praxisalltag massiv verändert hat und eine absolute Flexibilität erforderlich machte“, so Baumgarten. Hinzu kamen zahlreiche Anfragen von Hausärzt*innen und anderen Fachkolleg*innen, die einer Expertise von Infektiolog*innen bedurften. In enger Zusammenarbeit mit verantwortlichen öffentlichen Stellen, dem Gesundheitsamt und der Senatsverwaltung konnten so in Berlin in relativ kurzer Zeit Abläufe implementiert werden, die den größtmöglichen Schutz für das Praxispersonal als auch für die Patient*Innen gewährleisten. Coronainfektion und HIV Besonders zu Anfang der Krise waren HIV-positive Menschen oft sehr besorgt, ob sie aufgrund ihrer HIV-Erkrankung mit einem höheren Infektionsrisiko oder einem schweren Verlauf durch eine Infektion mit dem SARS-CoV-2 als Ursache von COVID-19 rechnen müssen. In einer Stellungnahme der Deutschen AIDS-Gesellschaft zur Gefährdung von HIV-Infizierten durch COVID-19 (mit Stand 21.03.2020, s. a. www.dagnae.de) heißt es, dass es weder ausreichend Daten für einen Hinweis auf eine erhöhte Infektionsrate von Menschen mit HIV gegenüber HIV-negativen Personen noch für das Gegenteil gebe. Ebenso fehlten belastbare Daten zur Frage der Schwere des Verlaufs. Alter, männliches Geschlecht und Begleiterkrankungen (insbesondere der Lunge, Hypertonie und Diabetes mellitus) seien die bislang mit einem schweren Verlauf von COVID-19 bekannten assoziierten Risikofaktoren. Eine erhöhte Letalität von Menschen mit HIV durch COVID-19 sei, bei ebenfalls unzureichender Datenlage, bisher nicht belegt. Gleichwohl sollte sicherheitshalber, so heißt es in der Stellungnahme weiter, von der Erhöhung des Risikos eines schweren Verlaufs bei antiretroviral unbehandelten Personen und bei CD4+-Zellen unter 200/μl ausgegangen werden. Ca. 50 % der HIV-Betrof- 6
© mauritius images/Chutima kuanamon/Alamy, fenen sind 50 Jahre alt oder älter, viele leiden an Begleiterkrankungen und weisen daher wie entsprechende Personen in der Allgemeinbevölkerung ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf auf (s. Symposium zur SARS-CoV-2 auf der CROI 2020). Insbesondere für die oben beschriebenen Personen, aber auch ihre Kontaktpersonen muss die Vermeidung einer Infektion im Vordergrund stehen (s. Hinweise des RKI und tagesaktuelle Empfehlungen der Gesundheitsbehörden der Länder). Betont wird seitens der DAIG, dass die notwendige Begleitdiagnostik der HIV-Infektion und dringend notwendige ärztliche Behandlungen unter Berücksichtigung der entsprechenden Vorkehrungen nicht unterlassen werden. Ende Mai 2020 hat eine Gruppe von Europäischen AIDS-Gesellschaften ein erstes gemeinsames Statement zu COVID-19 Erkrankungen bei Menschen, die mit HIV leben (PLWH), herausgegeben*. Beteiligt waren neben der Deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG), die Britische AIDS- Gesellschaft (BHIVA), die Spanische AIDS-Studiengruppe GESIDA, die Polnische AIDS-Gesellschaft und federführend die Europäische AIDS-Gesellschaft (EACS). Aufwertung der Infektiologie Ein wichtiger nachhaltiger Nebeneffekt des „Coronamanagements“ werde mit Sicherheit sein, dass in der Krise der infektiologische neben dem HIVmedizinischen Schwerpunkt in den Zentren noch deutlicher wird, ist Baumgarten überzeugt: „Wir * https://daignet.de/site-content/news/stellungnahmen/gemeinsames-statement-von-bhiva-daig-eacs-gesida-polish-scientificaids-society-zum-risiko-von-covid-19-fuer-plwh sind diejenigen, die jetzt Flagge zeigen müssen und in erster Linie für die Versorgung verantwortlich sind. Wir können testen, kompetent beraten und untersuchen. Es ist alles etabliert, und falls es eine Option gibt, dass es antivirale oder immunmodulierende Medikamente gibt, dann sind wir als Infektiolog*innen, jenseits der stationären Versorgung, im Umgang damit erfahren. Und wenn eines Tages eine Impfung vorliegt, werden wir diejenigen sein, die diese Impfung „ausrollen“ und vorantreiben werden. Das sind exakt die Aufgaben von infektiologischen Zentren, und es wird uns weiterhin als solche prägen. Die Infektiologie wird in der Öffentlichkeit insgesamt an Relevanz gewinnen und anders wahrgenommen werden.“ Mit der dagnä auf der sicheren Seite Entsprechend der erheblich veränderten und erhöhten Bedarfe der Ärzt*innen z. B. bzgl. Schutzausrüstungen, logistischer Beratung oder Beratung zu berufsrechtlichen Fragen und neuen gesetzlichen Regelungen bei der Bewältigung der Coronakrise gewährt die dagnä auf vielfältige Weise Unterstützung. In Berlin wurden beispielsweise die Kolleg*innen von der KV kontaktiert, um die Verteilung der Schutzmaterialien aus der Charge des Bundesgesundheitsministeriums zu koordinieren. Es wurde darüber hinaus bundesweit mit anderen KVen kommuniziert, wie viel Mundschutze, Schutzkittel, Handschuhe etc. im niedergelassenen Bereich benötigt werden. Außerdem gab die DAIG-Stellungnahme für infektiologisch tätige dagnä-Ärzt*innen erste Orientierung. Hinzu kommen regelmäßige INTERVIEW 7
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