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Leseprobe CONNEXI Nephrologie Dialyse Transplantation Ausgabe 1-2020

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HYPOPARATHYREOIDISMUS

HYPOPARATHYREOIDISMUS Parat haben, was fehlt Symposiumsbericht Das Leben mit Hypoparathyreoidismus ist eine Herausforderung. Der Mangel an Parathormon (PTH) und die Hypokalziämie führen zu vielfältigen Beeinträchtigungen der körperlichen und geistigen Gesundheit. Wird der PTH-Mangel nicht gut behandelt oder ausgeglichen, ist die Lebensqualität in der Regel erheblich beeinträchtigt. Die Therapieziele mit der herkömmlichen Therapie zu erreichen, ist indes nicht einfach, wie Experten anlässlich eines Symposiums im Rahmen der 11. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) vom 10. bis 13. Oktober 2019 in Düsseldorf ausführten. Für Patienten, die mit der Standardtherapie nicht ausreichend behandelt werden können, stellt die seit 2017 verfügbare hormonelle Substitutionstherapie mit rekombinantem humanen Parathormon (rhPTH(1-84); Natpar®) eine Alternative dar. EDUCATION Parathormon wird von den Nebenschilddrüsen gebildet und spielt eine Schlüsselrolle bei der Regulierung des Kalzium-Phosphat-Haushaltes, der Aktivierung der renalen Vitamin-D-Bildung und der Homöostase des Knochenstoffwechsels. Parathormon erhöht den Serumkalziumspiegel, indem es die Kalziummobilisation aus dem Knochen, die Kalziumrückresorption im distalen Tubulus der Niere und indirekt die Kalziumresorption im Dünndarm beeinflusst. Die typische Laborkonstellation bei Hypoparathyreoidismus besteht aus einem niedrigen Serumkalzium, einem erhöhten Serumphosphat, einer erhöhten Kalziumausscheidung im Urin und einem erniedrigten bzw. nicht detektierbaren PTH (< 15 pg/ml). Die mit Abstand häufigste Ursache für eine reduzierte oder fehlende Produktion von PTH ist eine chirurgisch-iatrogen bedingte Entfernung von Nebenschilddrüsengewebe im Rahmen einer Schilddrüsenoperation bei Schilddrüsenkarzinomen, Morbus Basedow oder Struma multinodosa sowie eine Parathyreoidektomie bei Hyperparathyreoidismus [1]. Weitere seltene Ursachen sind eine Radiojodtherapie oder eine Strahlentherapie bei Tumoren der Halsregion, Autoimmunerkrankungen und sehr selten auch angeborene genetisch bedingte Erkrankungen. Lebensqualität massiv beeinträchtigt Das klinische Bild kann von Patient zu Patient variieren. Die Patienten leiden insbesondere an der Hypokalziämie, wobei die Toleranzschwelle für ein niedriges Serumkalzium individuell sehr unterschiedlich ist, wie Privatdozent Dr. med. Walter Reinhardt, Nephrologe und Endokrinologe aus dem Universitätsklinikum Essen, berichtete. Die Betroffenen klagen über neuromuskuläre Beschwerden mit Dys- oder Parästhesien, Muskelschwäche und schmerzhafte Muskelkrämpfe. Kopfschmerzen, allgemeine Müdigkeit und Abgeschlagenheit (Fatigue) stellen sich ein. Zu den organbezogenen Symptomen zählen Obstipation, Koliken, Herzrhythmusstörungen (verlängerte QT-Zeit), Kataraktbildung, eine trockene, spröde Haut, Alopezie und Nagelveränderungen. Spätkomplikationen betreffen vor allem die Nieren (s.u.), die Knochen und das zentrale Nervensystem (z. B. Basalganglienverkalkungen). Tritt die Hypokalziämie akut auf, manifestiert sie sich als Tetanie. Zu niedriges Serumkalzium und fehlendes PTH haben jedoch keineswegs nur somatische Folgen, sie beeinträchtigen vor allem auch die psychische Gesundheit, wie die Privatdozentin Dr. med. Dorothee Baur, Endokrinologin aus Neu-Ulm, betonte. Nach eigener Aussage berichteten die meisten ihrer Patienten, die mit der Standardtherapie nicht zufriedenstellend behandelt werden konnten, von teilweise erheblichen psychischen oder kognitiven Einschränkungen, darunter Angstzustände, Depressionen, Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen (brain fog). Auch Wesensveränderungen passen zum Krankheitsbild. Abbildung 1 gibt einen Überblick über die vielfältige Symptomatik des Hypoparathyreoidismus. 34

HYPOPARATHYREOIDISMUS Zentrales Nervensystem • Anfälle • Kalzifizierungen • Parkinson oder Dystonie Neuropsychiatrisches System • Angsstörungen und Depression • Konzentrationsschwierigkeiten • Brain fog Vorrangig in der Therapie des Hypoparathyreoidismus ist eine Normalisierung der Kalzium-, Phosphat-, Vitamin-D- und Magnesiumwerte. Um dies zu erreichen, konzentriert sich die Standardtherapie auf vier therapeutische Ziele [2, 3]: (1.) die Erhöhung des Serumkalziums auf Werte im unteren Referenzbereich (Zielwert: 2,1–2,3 mmol/l); (2.) die Reduktion des Serumphosphats bzw. des Kalzium- Phosphat-Produkts (Ca-P-Produkt 20 ng/ml). Zur Therapie eingesetzt werden orale Kalziumund ggf. Magnesiumpräparate, aktive Vitamin-D- Metabolite wie Calcitriol sowie eine phosphatarme Ernährung. Mit Thiaziddiuretika lassen sich die Serumkalziumspiegel zusätzlich stabilisieren. Kardiovaskuläres System • Herzrhythmusstörungen • Hypokalzämieassoziierte dilatative Kardiomyopathie Atemwege • Laryngospasmen Nieren • Nephrokalzinose • Nierensteine • Chronische Nieren erkrankung Peripheres Nervensystem • Parästhesien • Muskelkrämpfe • Tetanie Augen • Katarakte • Papillenödem Zähne • veränderte Zahnmorphologie Haut • Hauttrockenheit • Onycholyse • Psoriasis pustulosa Muskuloskelettales System • Myopathie • Spondyloarthropathie Nur ein Drittel erreicht alle Zielvorgaben Alle vier Therapieziele mit einer konventionellen Therapie zu erreichen, gleicht einem Balanceakt, und es gelingt längst nicht bei allen Patienten das Serumkalzium stabil im niedrig normalen Referenzbereich einzustellen, ohne dabei eine Hyperkalziurie mit einem deutlich erhöhten Risiko für Nephrolithiasis, Nephrokalzinose und Nierenfunktionsverlust in Kauf zu nehmen. In einer Studie von Meola et al. wurden 90 Patienten mit chronischem postoperativen Hypoparathyreo idismus eingeschlossen. Von den 82 Patienten, von denen alle Daten vorlagen, erreichten lediglich 34 % alle vier Zielbereiche (albuminkorrigiertes Serumkalzium, Serumphosphat, Ca-P-Produkt, Kalziumausscheidung im 24-Stunden-Sammelurin). Bei 14 % lag das Serumkalzium unter und bei 20 % über dem Zielbereich. Bei über 50 % lag die Kalziumausscheidung im 24-Stunden- Sammelurin über dem oberen Normwert [4]. Abbildung 1: Klinische Manifestationen des Hypoparathyreoidismus (modifiziert nach [11]). Mentale und psychische Symptome persistieren Doch selbst wenn Patienten unter Therapie normale Serumkalzium- und Vitamin-D-Werte erreichen, seien sie dadurch nicht automatisch symptomfrei, da waren sich beide Referenten einig. Büttner et al. berichten in einer aktuellen Übersichtsarbeit, dass bei vielen dieser Patienten das mentale und psychische Wohlbefinden selbst unter Therapie deutlich eingeschränkt und die Lebensqualität (SF-36) reduziert bleibt [5]. Eine mögliche Ursache sei, so die Expertin, dass eine Therapie mit oralem Kalzium und Vitamin D die – möglicherweise noch nicht vollständig verstandenen – Funktionen des PTH eben nicht in Gänze ersetzen könne. EDUCATION 35

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