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Leseprobe CONNEXI 2020-05 SCHMERZ Palliativmedizin

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PALLIATIVMEDIZIN Hunger

PALLIATIVMEDIZIN Hunger und Durst am Lebensende Norbert Schürmann, Moers © vwillma.../photocase.de CONFERENCES Essen und Trinken sind essenzielle Bedürfnisse unseres Lebens. Veränderungen der alltäglichen Lebens gewohnheiten sind bei Patienten und Angehörigen oftmals hochgradig emotional und mit diffusen Ängsten besetzt. Zunächst gilt es Hunger und Durst zu definieren, bevor wir auf die speziellen Bedürfnisse am Lebensende eingehen. Durst meldet sich als Existenzbedürfnis an. Ihm folgt die Handlungsbereitschaft des (gesunden) Menschen zu trinken. Sinkt der Wasseranteil des Körpers um zirka 0,5 %, signalisiert das Gehirn Durst. Bei einem Verlust von 10 % kommt es zu einem Trockenheitsgefühl im Mund und zu Sprechstörungen. Der tägliche Flüssigkeitsbedarf liegt beim gesunden Erwachsenen bei zirka zwei Liter, er unterliegt starken Variablen. Das Fehlen des Durstgefühls wird als Adipsie bezeichnet. Ab dem 50. Lebensjahr nimmt mit zunehmendem Alter das Durstgefühl ab [1, 2]. Hunger tritt in der Folge von Nahrungsmangel auf. Hunger bezeichnet aber auch eine subjektiv wahrgenommene körperliche Empfindung. Hierbei handelt es sich um ein physisches, soziales, gesellschaftspolitisches, psychologisches Phänomen, das je nach Betrachtungsweise unterschiedlich dargestellt wird. Die biologische Funktion des Hungerreizes besteht darin, die ausreichende Versorgung mit Nährstoffen und Energie sicherzustellen. Der Zustand der Mundhöhle (Mundtrockenheit, Ulzerationen, Infektionen etc.) triggert das Durstgefühl mehr als der Volumenzustand. Die gute Mundpflege wird bei auftretendem Durst vorausgesetzt [2, 3]. Ursachen einer verminderten Nahrungsaufnahme Die Ursachen einer verminderten oralen Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme können vielschichtig sein. Zunächst sollte abgeklärt werden, ob es sich um eine reversible oder irreversible Störung im Zusammenhang mit der Tumorerkrankung handelt. Des weiteren sollte eine symptomkontrollierte Therapie nach Rücksprache mit dem Patienten erfolgen. Auch invasive Verfahren sind dabei zu berücksichtigen. Die Tabelle 1 listet die vielfältigen Ursachen einer verminderten Nahrungsaufnahme auf. 12

PALLIATIVMEDIZIN Tabelle 1: Ursachen einer verminderten Nahrungsaufnahme [2, 4, 5, 7, 8]. Mund-Schleimhaut-Entzündung (Stomatitis, Soor ) Geschmacksstörung, Zinkmangel, brennende Zunge trockener Mund (Xerostomie), Dehydrierung Schluckstörung Hypersalivation Kaustörungen Dysphagie, Odynophagie, Soorösophagitis Refluxkrankheit chronische Nausea, frühes Sättigungsgefühl, autonome gastrointestinale Dysmotilität akute Nausea, Erbrechen (auch durch Chemotherapie, Radiotherapie) schwere Verstopfung gastrointestinale Obstruktion Angst vor Stuhlinkontinenz nach dem Essen schwere Symptome und Syndromkomplexe (Schmerz, Husten, Atemnot, Depression usw.) Verwirrung, Demenz soziale und finanzielle Hindernisse Essenspräsentation und unangepasste Umgebung Diätfehler: „zu gesund“ essen, mit zu wenig Proteinen und Fett alternative Krebsdiäten (Hungerkuren) psychische Ursachen Pathophysiologie Voraussetzungen bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen Die Ausgangsbasis bei fortgeschrittenen tumorösen Erkrankungen ist gegenüber Gesunden eine völlig andere. Die Patienten haben häufig einen schweren Gewichtsverlust insbesondere bei gastrointestinalen Tumoren, sie sind abgemagert, zum Teil kachektisch. Durch Hypoproteinämie haben sie periphere Ödeme oder Lungenödeme, ihr Hautturgor ist stark reduziert, und die Patienten sind anfälliger für Dekubitus. Die Frage der hochkalorischen Ernährung sollte ab dem Zeitpunkt des Gewichtsverlustes gestellt werden, nicht erst im katabolen Ernährungszustand. Schwere Gewichtsverluste lassen sich durch hochkalorische Ernährung nicht mehr kompensieren (Tabelle 2). Tabelle 2: Folgen der Ernährung im fortgeschrittenen Tumorstadium. Es handelt sich um eine katabole Stoffwechsellage ohne einen positiven Effekt der hyperkalorischen Ernährung. Ein Gewichtsverlust ist nicht zu verhindern. Bereits kleinste Nahrungsmengen reichen aus um den Hunger und/oder den Durst zu stillen. Behandlungsziele • Respekt vor Wünschen, Bedürfnissen und Ablehnungen des Patienten, • Linderung von Begleitsymptomen wie Völlegefühl, Übelkeit, Erbrechen, • Stillen des subjektiven Durst- und Hungergefühls, • zwangloser Genuss, mengenunabhängig, • appetitsteigernde Angebote machen, • Ängste des Patienten und der Angehörigen ernst nehmen und beachten. Handlungsleitend sollte das Bewahren des subjektiven Wohlbefindens und das Stillen von Hunger und Durstgefühl sein. Entsprechend hat sich die Bundesärztekammer 2004 und 2011 geäußert (Hilfe in palliativmedizinischer Versorgung). Dazu gehören nicht immer Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr, da sie für Sterbende eine schwere Belastung darstellen können. Jedoch müssen Hunger und Durst als subjektive Empfindungen gestillt werden (Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung) [4]. Noch eindeutiger positioniert sich der Bayerische Landespflegeausschuss zum Thema Essen und Trinken am Lebensende: „Schwerkranke und sterbende Menschen haben deutlich weniger das Bedürfnis zu essen und zu trinken. Ein Mensch kann nicht qualvoll verhungern und verdursten, wenn er Hunger und Durst gar nicht verspürt.“ Schlussendlich kann man nur verhungern, wenn man Hunger hat [5] oder wie Cicely Saunders treffend sagt: „Men- CONFERENCES 13

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