PALLIATIVMEDIZIN schen sterben nicht, weil sie nicht essen, sondern sie essen nicht, weil Sie sterben.“ Theorie und Praxis Doch im täglichen Klinikalltag stellt sich vieles leider genau anders dar. Der Hang zur Übertherapie am Lebensende ist ein Phänomen, das wir nicht nur bei der Ernährung finden, sondern auch bei therapeutischen Behandlungsansätzen wie Chemo- und/ oder Strahlentherapie, Beatmungszeiten auf Intensivstationen, Ernährung über die PEG bei demenziellen oder stark ZNS-geschädigten Patienten. © Jochen Tack/Alamy Stock Photo nicht mehr das Gefühl ertragen müssen, der Patient müsste verhungern oder verdursten. Auch der Übereifer oder die Unkenntnis mancher Behandler verbessert nicht, sondern verschlechtert die Situation der Patienten im Sterben. Professor Borasio aus München bemerkt zutreffend: „Es wird derzeit in Krankenhäusern und Pflegeheimen vieles in bester Absicht getan, was die Menschen – ungewollt – aktiv am friedlichen Sterben hindert.“ [4]. Das freiwillige Beenden der Nahrungsaufnahme bei fortgeschrittenen tumorösen Erkrankungen schwerstkranker Patienten gehört zum natürlichen Sterbeprozess und kann Ausdruck der Autonomie und der Würde des Patienten sein [2]. Es ist wichtig, stets festzustellen, ob die Appetitlosigkeit und die verminderte orale Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme allein mit dem Sterbeprozess in Zusammenhang stehen. Eine Flüssigkeitsmenge von 500 ml/24 Stunden ist in der Regel in dieser Lebensphase völlig ausreichend, um beispielsweise einen Dekubitus zu verhindern [2]. Bei Fieber oder Durchfall ist die Flüssigkeitsmenge anzupassen [6] (Tabelle 3). Abbildung 1: Eine Flüssigkeitsmenge von 500 ml/24 Stunden ist in der Regel bei Sterbenskranken völlig ausreichend, um beispielsweise einen Dekubitus zu verhindern. CONFERENCES Die Interessen sind dabei unterschiedlich, dennoch stellt sich doch die Frage: Aus welchem Grunde werden gerade auch von Angehörigen am Lebensende bestimmte Therapien gefordert, die zum Teil vorher keine oder nur geringe Beachtung fanden. Ein Grund ist sicherlich die schlechte oder ungenügende Aufklärung, der geringe Informationsfluss an Angehörige. Nur eine frühzeitige und gute Informationspolitik an die Angehörigen kann dazu beitragen, dass physiologische Prozesse bei Sterbenskranken besser verstanden sowie akzeptiert werden und Angehörige Tabelle 3: Vorteile einer verminderten Flüssigkeitszufuhr am Lebensende. weniger Erbrechen weniger Husten, Verschleimung weniger Ödeme weniger Schmerzen erhöhte Endomorphinkonzentration Hautturgor verbessert: Verhinderung von Dekubitus Haben Sterbende Hunger? Künstliche Ernährung Unumstritten ist die Sinnhaftigkeit des Einsatzes dieser supportiven Maßnahme bei reversiblen Organfunktionsstörungen. Anders sieht es aus, wenn die Funktionsstörung mit einer nicht heilbaren fortgeschrittenen Erkrankung einhergeht. Die unreflektierte Fortführung von subkutaner 14
PALLIATIVMEDIZIN Flüssigkeitsgabe bis in die Terminalphase ist kontraproduktiv, sie erhöht das Risiko von peripheren Ödemen, Aszites, Pleuraergüssen und Lungenödemen! Die subkutane Flüssigkeitsgabe sollte individuell erfolgen. Die Vermeidung „belastender“ künstlich zugeführter Flüssigkeit und Ernährung bedeutet für die meisten Sterbenden mehr Lebensqualität. Die PEG-Ernährung ist unter anderem ein bedeutender Risikofaktor für Aspiration, zumal durch die PEG-Ernährung Infektionen eher gefördert als verhindert werden. Ein Vorteil für eine Verlängerung der Lebenszeit bei Patienten mit PEG konnte nicht festgestellt werden [4]. Entscheidend für unser palliatives Handeln ist der Wille des Patienten. Bei anhaltender Nahrungskarenz wird eine Reihe von Stresshormonen ausgeschüttet, gleichzeitig werden auch stimmungsaufhellende Hormone gebildet, vor allem Serotonin. Wenn der Nahrungsverzicht gewollt und geplant ist, entfällt der psychische Stress. Dies führt dazu, dass mehr Endorphine gebildet werden, die auf Grund des verlangsamten Stoffwechsels lange im Blut bleiben. Solche Reaktionen und Abläufe sind in der Palliativmedizin keine Seltenheit, beim Sterben unter erhöhtem Stress werden Endorphine ausgeschüttet, die das Sterben für die Patienten erträglicher machen. Erst durch vermehrte Volumengaben werden diese Effekte wieder aufgehoben. Entscheidend für unser palliatives Handeln ist der Wille des Patienten. Keine Leitlinien, keine Eminenzen entscheiden über Behandlungsformen, sondern alleine und ausschließlich der Patient, möglicherweise sogar zu seinem Schaden. Wir können und sollten Ratgeber unserer Patienten sein, Norbert Schürmann schmerzambulanz@st-josef-moers.de nicht weniger, aber auch nicht mehr. Frühzeitige Aufklärung des Patienten und deren Angehörigen über die Besonderheiten der letzten Lebensphase sind Pflichtaufgaben jedes Mediziners. Referenzen 1. Durst; Wikipedia online 2. Leitlinien der DGP Sektion Pflege: Ernährung und Flüssigkeit in der letzten Lebensphase, Juni 2014. 3. Hunger; Wikipedia online 4. Borasio GB. Wir können Ihn doch nicht verdursten lassen...“ https://gohrbandt.files.wordpress.com/2017/09/ fakten-und-mythen-zur-ernc3a4hrung-und-flc3bcssigkeit-am-lebensende-borasio.pdf [Abgerufen am 5.10.20] 5. Remane UK, Fringer A. Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit in der Palliative Care: ein Mapping Review. Pflege 2013; 26: 411–20. 6. Brantzen K-B. Künstliche Ernährung am Lebensende. Ja oder Nein? Der Allgemeinarzt 2017; 39(12): 18–22. 7. Thöns M, Halt B. Ernährungsmedizinische Aspekte in der Palliativversorgung. Schmerzmedizin 2017; 33(3): 28–32. 8. Thöns M. Ernährung am Lebensende. Witten Transparent, 2014. Norbert Schürmann Niederrheinisches Zentrum für Schmerz-und Palliativmedizin, St. Josef Krankenhaus GmbH Moers Asberger Straße 4, 47441 Moers CONFERENCES 15
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