CONFERENCES Ein „moderner“ Lebensstil mit einem Zuwenig an Bewegung und einem Überschuss an Nahrungsangebot ist eine der wesentlichen Ursachen metabolischer Komorbiditäten. Die aktuelle Pandemie führt die entsprechenden Effekte noch einmal deutlich vor Augen. Statine und Antidiabetika zählen weiterhin zu den meistverordneten Arzneimitteln in Deutschland. Stoffwechselerkrankungen bleiben lange symptomlos – abgesehen von der unmittelbar sichtbaren Adipositas bleiben viele Störungen deshalb lange unerkannt. Nicht selten führt erst ein kardiovaskuläres Ereignis, eine entgleiste Stoffwechsellage oder der primäre Gichtanfall zur Diagnose einer vermutlich seit Jahrzehnten bestehenden Stoffwechselerkrankung. Die geringe Symptomatik und der geringe Leidensdruck der Patienten machen eine primäre Prävention schwierig. Nicht ohne Grund gehört zumindest eine Basisdiagnostik der Glukose- und Fettstoffwechselstörungen auch zum Spektrum des „Check-Up 35“, der gesetzlich Versicherten alle drei Jahre angeboten wird. Aber auch hier liegt die Teilnehmerrate noch immer weit unterhalb des wünschenswerten Bereiches [3]. Der Schlüssel zum Erfolg: Individuelle Behandlung Dr. med. Sven Schellberg schellberg@novopraxis.berlin In der Praxis des HIV-Behandlers stellt sich die Situation häufig deutlich anders dar. Einem zumeist noch immer recht jungen Patientenspektrum mit einer an sich relativ geringen Wahrscheinlichkeit signifikanter Stoffwechselerkrankungen steht anderseits eine routinemäßig dreimonatliche Blutdiagnostik gegenüber, die Störungen frühzeitig aufzudecken vermag. Gleichzeitig bestehen andere Einflussgrößen, die Störungen des Stoffwechsels wahrscheinlicher machen als in der Allgemeinbevölkerung. Einflüsse der antiretroviralen Medikation, wie z. B. Veränderungen der Cholesterolwerte durch Tenofovirdisoproxilfumarat oder proteasehemmerbeinhaltende Regime oder eine Gewichtszunahme durch Regime, die Integraseinhibitoren und/oder Tenofoviralafenamid enthalten, seien hier exemplarisch genannt. Aber auch eine frühzeitige Diagnostik z. B. von Fettstoffwechselerkrankungen bei HIV-Patienten stellt den Behandler vor weitere Schwierigkeiten. Nach Anlage 3 der Arzneimittelrichtlinie soll so z. B. die Verordnung von Statinen erst bei hohem kardiovaskulärem Risiko (über 20 % Ereignisrate/ zehn Jahre auf der Basis der zur Verfügung stehenden Risikokalkulatoren) [4] erfolgen. Der primärpräventive Einsatz von Statinen kommt daher bei vielen jungen Patienten aufgrund des Fehlens weiterer signifikanter Risikofaktoren häufig zumindest zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht in Betracht. Für weitere Verwirrung sorgen wissenschaftliche Daten, die zwar eine deutliche Verbindung zwischen dem Einsatz von Integraseinhibitoren und/ oder TAF und der Gewichtszunahme zumindest eines Teils der Gebraucher belegen, gleichzeitig 44
HIV UND STOFFWECHSELERKRANKUNGEN aber keinen Zusammenhang mit metabolisch relevanten Laborparametern zeigen können [5]. Für den klinischen Alltag bedeuten diese Ungereimtheiten, dass viele Ansätze der Prävention und Diagnostik sowie der Therapie von Stoffwechselerkrankungen, die aus einer breiten epidemiologischen Perspektive entstanden sind, im Alltag der Behandlung einer komplexen chronischen Infektionskrankheit wie der HIV-Infektion nicht gerecht werden (können). Auch hier, wie in der antiretroviralen Therapie, scheint der Schlüssel in der Individualisierung der Therapie zu liegen. Lifestyle-Veränderung höher im Kurs Neben unerwarteter Gewichtszunahme bedingt auch die in der Klinik immer häufiger auftretende rasche Entgleisung des Glukosestoffwechsels bei jungen, adipösen HIV-Patienten im Vergleich zu nicht HIV-infizierten Patienten einen individualisierten Zugang. Interessanter Weise sind medikamentöse Ansätze hier aufgrund bestehender Interaktionen mit antiretroviralen Präparaten und wegen der o. g. Verordnungsbeschränkungen, aber auch aufgrund der Abneigung vieler Patienten gegen weitere medikamentöse Interventionen häufig wenig zielführend. Konzepten, wie die Veränderung des „Lifestyles“, die nach Leitlinie immer vor der medizinischen Intervention stehen sollte, scheint zwar aufwendiger, bei jungen HIV-Patienten aber häufig vielversprechender zu sein als so manch frustraner Versuch bei Senioren mit metabolischem Syndrom. Fazit Das Management von Stoffwechselerkrankungen wird in Zukunft im Alltag des HIV-Behandlers eine zunehmend wichtigere Rolle spielen – nicht nur ein älteres Patientenkollektiv spielt hier eine wesentliche Rolle, auch das Management möglicher metabolischer Risiken bei jungen Patienten über einen potenziell sehr langen Behandlungszeitraum muss in den Behandlungsalltag integriert werden. Das Management möglicher metabolischer Risiken bei jungen Patienten muss in den Behandlungsalltag integriert werden. Neben dem Monitoring der ohnehin regelmäßig erfassten Laborwerte und einer adäquaten Reaktion hierauf zählt eine regelmäßige Erfassung des BMI (z. B. bei jeder Blutentnahme), ein regelmäßiger, wenn auch bei Patienten unbeliebter Urintest, aber auch der klassische körperliche Check-Up zu wirksamen klinischen Maßnahmen, die bei Bedarf eine rechtzeitige Intervention ermöglichen, auch wenn diese „nur“ im gezielten persönlichen Gespräch über Stoffwechselrisiken besteht. Referenzen 1. Statistisches Bundesamt https://www.destatis.de/DE/ Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Gesundheitszustand-Relevantes-Verhalten/Tabellen/liste-koerpermasse. html 2. Robert Koch Institut https://www.rki.de/DE/Content/ Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/ GBEDownloadsGiD/2015/02_gesundheit_in_deutschland. pdf?_blob=publicationFile 3. Koppelin F, Giersiepen K, Rothgang H. Inanspruchnahme von gesetzlichen Angeboten zur Krankheits- und Krebsfrüherkennung: Vergleich von GKV-Routinedaten mit Befragungsdaten der Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell 2010“ Gesundheitswesen 2013; 75 - A218DOI: 10.1055/s-0033-1354172 4. Gemeinsamer Bundesausschuss, Anlage II der Arzneimittelrichtlinie https://www.g-ba.de/downloads/83-691-651/ AM-RL-III-Verordnungseinschr%C3%A4nkungen_2021-02-20.pdf 5. Bansi-Matharu L et al. CROI 2021 virtual P 507 Dr. med. Sven Schellberg NOVOPRAXIS Berlin GbR Mohrenstraße 6, 10117 Berlin CONFERENCES 45
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