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Leseprobe CONNEXI-2021-02 AIDS COVID-19 Infektiologie

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Magazin über Gesundheit, Medizin, Therapien

sich mir eingeprägt,

sich mir eingeprägt, eben weil sie in Berlin passiert ist. In meiner alten Heimat hätte mich das nicht gewundert. Handlungsbedarf bei Mediziner*innen CONFERENCES Ich erzähle diese Geschichte nicht, um ein Ärzt*innen-Bashing zu betreiben, sondern weil sie meiner Meinung nach sehr gut aufzeigt, wo Handlungsbedarf besteht. Vor allem bei der Ausbildung junger Ärzt*innen und bei Ärzt*innen, die schon sehr lange praktizieren. Ich verstehe und verstand PrEP immer als ein ganzheitliches Konzept zur sexuellen Gesundheit! PrEP ist mehr als ein Freifahrtschein für Bareback-Sex. Aber ich weiß, wie schwer es für Patient*innen ist, über die eigene Sexualität offen mit Ärzt*innen zu sprechen. Aber das ist wichtig – für beide Seiten. Ich bin mir sicher, in Berlin, Hamburg, Köln und München, also in den großen Metropolen, ist die PrEP angekommen, aber wie sieht es in den anderen Regionen aus? Ich kann mich in meinen Ausführungen bis Ende des Jahres 2019 auf die Situation in Mannheim stützen und ab 2020 in Berlin. In Mannheim habe ich drei Jahre lang ehrenamtlich am Kompetenzzentrum zu sexuell übertragbaren Infektionen KOSI.MA als Berater gearbeitet. Moral und Prävention schließen sich aus Jörn Valldorf joern.valldorf@lust-punkt.de PrEP-User in Mannheim sind nach viel Arbeit von ehrenamtlichen Aktivist*innen in einer recht komfortablen Situation. Es gibt eine gute Versorgungsinfrastruktur von Praxen und einen Checkpoint sowie einzelne Angebote zur psychischen und sexuellen Gesundheit. Aber in Mannheim beginnen die Probleme schon damit, dass die PrEP-verschreibenden Praxen mit der Zahl an PrEP-Nutzern ausgelastet sind und KOSI.MA aus finanziellen und personellen Ressourcen nur zwei Mal im Monat eine sehr begrenzte Anzahl an Testungen anbieten kann. KOSI.MA ist mittlerweile die einzige Anlaufstelle für Testungen auf sexuell übertragbare Krankheiten. Das Gesundheitsamt hat sein diesbezügliches Angebot – coronabedingt – eingestellt. Und ich habe auch immer wieder gehört, dass es bundesweit Ärzt*innen gibt, die ihren Patient*innen im Moment die PrEP verweigern. Die Logik dahinter: Im Lockdown hat man gefälligst kontaktarm und monogam zu leben und keinen Sex zu haben. Diese Haltung kann ich nicht anders als skandalös bezeichnen. Moral und Prävention schließen sich aus. Gerade im Lockdown brauchen wir die PrEP − mehr denn je. Die Welt besteht eben nicht nur aus monogamen Paaren, die in der Coronakrise die gemeinsame Lust neu entdecken. Viele Menschen leiden unter Angst, Einsamkeit und haben Zukunftsängste. Sollen sie sich wirklich auch noch um HIV Gedanken machen müssen? Außerdem soll es serodiskordante Paare geben, bei denen zumindest einer die PrEP nehmen möchte. © Copyright Tobias Quell 52

SEXUELLE GESUNDHEIT UND DIE MORAL Erhebliche Defizite Mit der Tatsache, dass PrEP von den gesetzlichen Krankenkassen seit September 2019 bezahlt wird, ist ein wichtiger Meilenstein in der HIV-Prävention gelungen. Dies gilt aber nicht für die privaten Krankenkassen. Hier wird vereinzelt aus Kulanz gezahlt, aber nicht flächendeckend. Es ist jedoch ein Irrtum, dass sich jemand, der sich eine private Krankenkasse leisten kann oder muss, auch über den finanziellen Background verfügt, sich eine PrEP leisten zu können. sprechen. Dafür müssen wir uns gemeinsam überlegen, wie wir mehr Frauen und Transmenschen erreichen und natürlich die Migrant*innen-Communitys. Für viele Frauen ist es schwierig, eine PrEP von ihrer Kasse finanziert zu bekommen, ohne dafür einen Seelenstriptease hinlegen zu müssen. Es sei denn, sie sind Drogenbenutzerinnen oder Sexarbeiterinnen – und auch diese Zuschreibungen empfinde ich schon als eine Zumutung. Für Frauen bedarf es schon eines guten Arzt/Ärztin – Patientin-Verhältnisses, um dieses Thema überhaupt anzusprechen. Denn ein promiskuitiver Mann passt Gerade im Lockdown brauchen wir die PrEP − mehr denn je. Ich höre noch immer von zu vielen Usern, dass sie, wenn sie nicht in besagten Metropolen leben, Schwierigkeiten haben, einen Arzt oder eine Ärztin zu finden, der/die ihnen die PrEP verschreibt. Oder, die eben keinen Checkpoint in der Nähe haben. Wir müssen Strukturen schaffen über die Großstädte hinaus bis in die ländlichen Regionen hinein. Wir als PrEP-Community können hier als Multiplikator*innen in Kooperationen mit Checkpoints und Schwerpunktärzt*innen die Hausärzt*innen schulen (so geschehen 2019 in Mannheim). Oder wir können andere Beratungsstellen unterstützen und PrEP-Sprechstunden anbieten. Frauen und Transmenschen im Fokus Ist Ihnen etwas aufgefallen, liebe Leser*innen? Ich habe bis jetzt meistens gegendert. Allerdings nicht bei den PrEP-Nutzern. Denn leider ist das noch immer ein sehr cis-männlicher, sehr wahrscheinlich weißer, aber sicherlich schwuler exklusiver Club. Ich würde lieber von PrEP-User*innen ins Bild, eine promiskuitive Frau leider nicht. Das muss sich dringend ändern. Moral hat in der Prävention keinen Platz. Eine lustvoll gelebte − gern auch promiskuitive Sexualität ist kein männliches Privileg. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich die Menschen – egal welchen Geschlechts – sehr gut überlegt haben, warum sie PrEP nehmen wollen. Oder, um es anders auszudrücken: Wer nach PrEP fragt, wird wahrscheinlich PrEP brauchen. Es gibt gute Neuigkeiten: Die PrEP ist auch bei Trans- und nicht-binären Menschen wirksam. Unabhängig von Hormonstatus und ggf. erfolgten Operationen. Das ist eine sehr gute Neuigkeit. Allerdings ist es wichtig, dass der Endokrinologe weiß, dass die PrEP eingenommen wird, genauso muss in der PrEP-Versorgung kommuniziert worden sein, dass Hormone eingenommen werden (Stichwort: Kreatinin). Denn zugleich wirken Hormone nach wie vor, und PrEP Medikamente wirken auch. Auch hier spielt ein gutes Arzt*innen − Patient*innen-Verhältnis eine Rolle. Denn es ist wich- CONFERENCES 53

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