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Leseprobe CONNEXI AIDS Hepatitis Ausgabe 6-2019

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medizinisches Magazin über AIDS und Hepatitis für Fachärzte, Retrospektive vom Deutsch-Österreichischen AIDS Kongress DOEAK 2019 und der Münchner AIDS und Hepatitis Werkstatt 2019

CHEMSEX CONFERENCES

CHEMSEX CONFERENCES Matthias Kuske Matthias.kuske@dah.aidshilfe.de Ulrich führt aus, dass auf Nachfrage viele Leute dann auch bestätigen, dass sie oft einfach „Lust“ haben und einem „Trieb folgen“. Sie müssen mal „Druck ablassen“. Die Lustkomponente spielt eine ebenso wichtige Rolle beim Sex. Doch wenn sich Sexualität hierauf reduzieren würde, bräuchten wir gar keine anderen Menschen dazu. Wir könnten einfach unter Zuhilfenahme von Fantasien oder pornografischen Medien masturbieren und so den „Druck abbauen“. Warum haben wir aber das Bedürfnis Sex mit anderen Menschen zu haben? Auf diese Frage finden schon weniger Menschen adäquate Antworten. „Sexualität und Intimität zur Erfüllung von psychosozialen Grundbedürfnissen“ lautet die sexualwissenschaftliche Erklärung. Wir Menschen sind als soziale Wesen auf Bindung programmiert. Wir sind förmlich auf andere angewiesen und von ihnen abhängig. Uns allen gemein sind die Bedürfnisse nach Anerkennung, Nähe, Geborgenheit, Sicherheit, Bestätigung und noch viele mehr. Sexualität stellt kein Grundbedürfnis per se dar, jedoch ist Sexualität eine gute Art der Kommunikation, diese zu befriedigen. Die Erfüllung dieser Grundbedürfnisse ist bei den oftmals leistungsgetriebenen Sexdatings und bei ChemSex selten gegeben. Und das ist auch o.k. so, solange es allen bewusst und die Absichten reflektiert sind. Nach dem Hochgefühl des Orgasmus folgt in diesen Konstellationen jedoch häufig wieder das Gefühl der Leere – was zur Folge hat, dass sich erneut auf die Suche begeben wird. Um den Kick zu steigern, wird die Anzahl der Sexualpartner*innen erhöht, extremere Praktiken werden ausprobiert und/oder psychotrope Substanzen dazu konsumiert. Im Grunde sind die Betroffenen nicht dauergeil, sondern eher dauereinsam, im Sinne einer mangelnden Erfüllung der aufgeführten psychosozialen Grundbedürfnisse, so Ulrich. Psychologen nennen diesen Zustand Deprivation. Der Versuch dieser Leere mit Random Sex – ich als austauschbares Objekt – zu begegnen, ist vor diesem Hintergrund oft eine dysfunktionale Coping-Strategie. Der Aktivist für sexuelle Gesundheit und Arzt Dr. Martin Viehweger bringt die derzeit wichtigen und notwendigen Maßnahmen auf den Punkt. Er verwies darauf, dass es für die Bedürfnisse von ChemSex Usern neuer integrativer, therapeutischer Konzepte bedarf (s. auch Beitrag Viehweger S. 35). Matthias Kuske, Deutsche Aidshilfe e.V. Wilhelmstr. 138, 10963 Berlin 34

CHEMSEX 2019 ChemSexNetzwerk Berlin – ein Qualitätszirkel Martin Viehweger, Berlin Das Phänomen ChemSex ist aufgrund der psychischen Konstellation der betroffenen Klientel, aber auch wegen der Risiken beim Substanzkonsum mit neuen Herausforderungen für HIV-Behandler*innen verbunden. Die Sexualkultur von ChemSex bedarf eines besseren Verständnisses sowie neuer Therapiekonzepte. Um diesen Bedarfen gerecht zu werden, etabliert das ChemSexNetzwerk Berlin ein Kompetenzforum zur Koordinierung verschiedener Angebote wie Aufklärung, einer Online-Plattform, Workshops, Fachtagungen, Schulungen, Erarbeitung von Behandlungsleitlinien usw. zur Verbesserung gemeinsamer Kompetenzen für Substanzkonsum und schwule Sexualität. Worum es dabei inhaltlich gehen muss, verdeutlicht die folgende SMS. „Hallo Martin − Seit meinen letzten besuchen und heute bin ich wie besprochen daran meine Gewohnheiten bewusster wahrzunehmen und versuche meinen Konsum für mich einzudämmen. Nur plagt mich trotz morgendlichem Motivationsschub der Gang zur Arbeit. Ich hatte das schon mal vor etwa zwei Jahren und folglich der ,Krankheit‘ kündigte ich meinerseits weil ein weiterarbeiten mit Tyrann als Vorgesetzten nicht möglich war. Heute ist es sehr ähnlich aber diesmal kein Chef der das extreme auslöst. Ich fühle mich schlecht und sehr unbeholfen ausgelaugt. Kommende Arbeitspläne jenseits des rechtlichen plagen mich hier zu sein. Ich empfinde wieder nach Hause zu gehen und mich erholen zu müssen. Was kann ich machen? Lg C. Von meinem iPhone gesendet“ Eine von vielen Nachrichten, Mitteilungen, Konsultationsgründen in der Sprechstunde von MSM mit ChemSex-Problematik. Nach mehreren Jahren der Öffentlichkeitsarbeit zur Information bzgl. des Phänomens „ChemSex“ haben viele vielleicht mehr Verständnis, allerdings keine adäquaten Antworten. Defizite beim Umgang mit der Problematik ChemSex Aktuelle Therapiekonzepte fußen zumeist auf Erfahrungen und Wissen aus dem schädlichen Umgang mit Alkohol und Heroin. Konzepte zur Annäherung an dieses Thema sind spärlich, denn die Intension von ChemSex und sexualisiertem Substanzkonsum ist anders begründet: CONFERENCES 35

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