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Leseprobe CONNEXI Neurologie Ausgabe 3-2019

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MEDIZINISCHES CANNABIS

MEDIZINISCHES CANNABIS FÜR KINDER? Therapieoption bei neuropsychiatrischen Erkrankungen Symposiumsbericht Die therapeutischen Effekte unter einer Cannabis-Therapie in verschiedenen Indikationen bei Erwachsenen sind zunehmend gut durch Studiendaten belegt. Über den Nutzen der Anwendung dieser neuen Behandlungsoption bei Kindern liegen bislang vergleichsweise wenige Erkenntnisse vor. Mit dem Gesetz vom März 2017* können prinzipiell auch Kinderärzte sowie Kinder- und Jugendpsychiater Cannabis-Produkte verschreiben. In einem Symposium im Rahmen der Neurowoche 2018 führte Dr. Pierre Debs, Managing Director Europe der Canopy Growth Corporation, in das Thema „Medizinisches Cannabis“ ein, und Dr. Manfred Nowak, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Neurologie sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie aus Landau berichtete über seine bislang gesammelten Erfahrungen in der Therapie von neuropsychiatrischen Erkrankungen im Kindesalter. Das Verständnis, wie Cannabis wirkt, hat sich mit der Entdeckung des menschlichen Endocannabinoidsystems (ECS) Anfang der 1990er-Jahre beträchtlich erweitert. Dr. Pierre Debs beschäftigt sich schon seit langem mit dem ECS als eines der zentralen homöostatischen Transmittersysteme und erklärte in seinem Vortrag „Medizinisches Cannabis/Grundlagen des Endocannabinoid systems“ Ursprung für das Verständnis des therapeutischen Potenzials der Cannabinoide sind die Phytocannabinoide. In Cannabis, einer der ältesten Heilpflanzen, liegt die höchste Konzentration vor. Entscheidend für die Wirksamkeit von Cannabis in vielen verschiedenen Indikationen seien die medizinisch relevanten Cannabinoide (Delta‐9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidol (CBD), die „Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis […]“ (Abs. 6, § 31 Arznei- und Verbandmittel, Verordnungs ermächtigung) EDUCATION den Einfluss des ECS auf vielfältige physiologische Funktionen. Es reduziert die Überaktivität aller Neurotransmitter (Dopamin, GABA, Glutamat, Serotonin, Noradrenalin, Glysin und Acetylcholin). Dabei spielen Endo-, Phyto- und synthetisch hergestellte Cannabinoide eine wesentliche Rolle. *Mit dem am 10. März 2017 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften hat der Gesetzgeber die Möglichkeiten zur Verschreibung von Cannabisarzneimitteln erweitert. Ärztinnen und Ärzte können künftig auch Medizinal-Cannabisblüten oder Cannabisextrakt in pharmazeutischer Qualität auf einem Betäubungsmittelrezept verschreiben. Dabei müssen sie arznei- und betäubungsmittelrechtliche Vorgaben einhalten. https://www. bfarm.de/DE/Bundesopiumstelle/Cannabis/_node.html über ein endogenes Rezeptorsystem mit diversen Rezeptoren wie dem bisher identifizierten CB-1 und CB-2 in Wechselwirkung stehen und zu verschiedenen Effekten führen. Die Cannabinoide der Cannabis-Pflanze docken als volle oder partielle Agonisten an diese Rezeptoren an, erläuterte Dr. Debs. Das psychoaktive THC hat neben dem bekannten euphorisierenden Effekt u. a. eine schmerzlindernde und krampflösende Wirkung. CBD ist nur schwach psychoaktiv, und hat u. a. entzündungshemmende, schmerzlindernde, antiemetische, antipsychotische und angstlösende Wirkungen. Die Rezeptoren CB-1 und CB-2 sind im gesamten Körper weit verbreitet, kommen in bestimmten 22

MEDIZINISCHES CANNABIS FÜR KINDER? Strukturen jedoch sehr intensiv vor. CB-1-Rezeptoren sind die am häufigsten vorkommenden im ZNS − in der höchsten Konzentration im zentralen und peripheren Nervensystem, aber auch in zahlreichen Organen, während der Hirnstamm eine äußerst niedrige Konzentration an Cannabinoidrezeptoren aufweist. Endocannabinoidsystem und Hirnentwicklung Nach international beachtlicher Datenlage zum therapeutischen Einsatz von Cannabis bei Erwachsenen sind mittlerweile einige Indikationen, wie chronische Schmerzen, MS, spastische Erkrankungen, Angststörungen, ADHS und Tourette-Syndrom mit gesetzlichem Rückhalt etabliert. „Die bisher durchgeführten Studien und Einzelfallbeobachtungen zum therapeutischen Einsatz von Cannabis im Kindes- und Jugendalter deuten darauf hin, dass es auch in dieser Altersgruppe bei ausgewählten Indikationen gute therapeutische Erfolge erzielen kann“, verdeutlichte Dr. Nowak. Allerdings sei der Einsatz von Cannabis-Produkten in dieser Altersgruppe sehr sorgsam abzuwägen, da Cannabinoide bis zum Abschluss der Pubertät über das ECS in die Entwicklung des Gehirns eingreifen. Dem ECS kommt wahrscheinlich eine zentrale Rolle in der Feinabstimmung der in der Pubertät reifenden komplexen Neurotransmittersysteme während der Gehirnentwicklung zu − neben dem ECS entwickeln sich in dieser Phase auch das glutamaterge, das serotonerge sowie das dopaminerge System, mit denen das ECS in enger funktioneller Verbindung steht −, erläuterte der Experte. Für einige neuropsychiatrische Erkrankungen bei Kindern liegen bereits Studien vor. Das betreffe die Autismus-Spektrum-Störung (ASD), das Tourette- EDUCATION 23

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