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Leseprobe CONNEXIPLUS 2020-6 Kardiorenale Achse

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connexiplus Psychosoziale Risikofaktoren wirken auch als Barrieren gegen gesundheitsbewusstes Verhalten. Fehlernährung oder Rauchen haben zum einen direkte physiologische Folgen, wie die Entwicklung eines metabolischen Syndroms und Vasokonstriktion. Zum anderen interagieren sie mit psychophysiologischen Prozessen in der Krankheitsentstehung und -prognose. Wenn beispielsweise der Arzt dem Patienten gegenüber zum Ausdruck bringt, dass er Stress reduzieren müsse und der Patient zum Stressabbau raucht, befinden wir uns in einem circulus vitiosus, der für eine günstigere Prognose durchbrochen werden sollte. Angst vor einer Überforderung des Herzens nach einem Herzinfarkt kann in einer Vermeidung von sportlicher Aktivität resultieren. Frustessen dient kurzfristig der Emotionsregulation, ist jedoch für die Reduktion von Übergewicht kontraproduktiv. Sorge vor Medikamentennebenwirkungen kann zu Nonadhärenz gegenüber prognostisch günstigen Arzneimitteln führen. Akute Stresssituationen, z. B. Angst, Ärger oder Trauer, sind die häufigsten Akutauslöser von Myokardinfarkten und tragen zu einer schlechteren Prognose bei [6, 7]. Stellt sich ein Patient mit kardiovaskulären Symptomen (Angina pectoris, Belastungsdyspnoe, Unterschenkelödeme, Herzrhythmusstörungen, Syn kopen) und/oder Risikofaktoren beim Arzt vor, sollte zunächst eine kardiologische/somatische Abklärung einschließlich der Erhebung der biopsychosozialen Risikofaktoren erfolgen (Tabelle 3). Tabelle 3: Kardiologische Abklärung bei Herzbeschwerden EKG, Blutdruckmessung, Auskultation Herzultraschall Labor (kleines Blutbild, Diabetesscreening, glomeruläre Filtrationsrate, TSH, Trop T) Langzeit-EKG, Langzeit-Blutdruck, Spiroergometrie (Bildgebender) Ischämienachweis Koronarangiographie Angehörige einbeziehen Insbesondere nach Krankenhausaufenthalt, Myokardinfarkt und bei koronarer Herzerkrankung sind psychische Belastungen häufig. Je vital bedrohlicher die Herzerkrankung erlebt wird, desto mehr leidet die Psyche. Bei ca. 30 % der Patienten mit Herzinsuffizienz, 40 % nach aortokoronarer Bypass-Operation, 70−80 % vor Transplantation, 30 % nach Transplantation und 90 % mit Kunstherzsystemen finden sich relevante psychische Beeinträchtigungen. Psychische Belastungen finden sich nicht nur bei den Patienten, sondern auch bei Ihren Angehörigen. Auf die Diagnose und Therapie der Herzerkrankung können akute Belastungsreaktionen oder Anpassungsstörungen folgen. Unbehandelte Anpassungsstörungen können chronifizieren und in Depression oder Angststörungen übergehen. Zudem müssen posttraumatische Belastungsstörungen und Phobien, die im Gegensatz zu den diffusen Angststörungen an auslösende Reize/ Situationen gebunden sind, berücksichtigt werden. Psychische Symptome detektieren und behandeln Eine komorbide Depression ist häufig, belastend und gefährlich. Sie ist gekennzeichnet von körperlichen Beschwerden und verändertem Verhalten. Somatische Symptome der Depression sind Vitalitäts- und Energieverlust, Kraftlosigkeit, Konzentrationsstörungen, kognitive Leistungseinbußen, Schlafstörungen, Reizbarkeit, innere Leere. Die Umgebung bemerkt evtl. den sozialen Rückzug und Verlust kommunikativer Fähigkeiten. Selbstschädigende Verhaltensweisen wie Rauchen oder ungesunde Ernährung treten gehäuft auf. Mangelnde Compliance führt zum Absetzen von kardial prognostisch relevanten Medikamenten. Im Arbeits­ 64

PSYCHOKARDIOLOGIE leben kann es manchmal fast konträr wirken: Weil der Patient/die Patientin depressionsbedingt das Gefühl hat, für die Arbeit nicht mehr gut genug zu sein und ein gesteigertes Misserfolgserleben hat, kompensiert er/sie dieses durch Mehrarbeit, was wiederum weniger Zeit zur Erholung zur Folge hat und in weiterer Überlastung mündet. Eine Depression sollte mittels kurzer, gezielter Befragung geklärt werden. Zwei einfache Fragen helfen zum Erkennen depressiver Störungen: 1. Haben Sie im letzten Monat oft unter Gefühlen von Niedergeschlagenheit, Depressionen oder Hoffnungslosigkeit gelitten? 2. Haben Sie im letzten Monat oft unter geringem Interesse oder Freudlosigkeit gelitten? Beantwortet der Patient beide Fragen mit „nein“, ist das Vorliegen einer Depression unwahrscheinlich. Lautet eine Antwort „ja“, liegt in der Hälfte der Fälle eine Depression vor. Eine erweiterte Befragung sollte sich anschließen. Werden die psychischen Symptome einer Depression, wie Hoffnungslosigkeit, Suizidgedanken und Schuldgefühle nicht erfragt, kann die Depression beispielsweise als zugrundeliegendes Problem für die eingeschränkte Belastbarkeit eines herzinsuffizienten Patienten übersehen werden. Zum Screening auf das Vorliegen einer Depression kommt in unserer Klinik zudem regelhaft der PHQ-9-Fragebogen (validierter Selbstauskunftsfragebogen für Patienten, Abbildung 2) zum Einsatz. Die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung könnten als Ausdruck einer normalen Reaktion eines normalen Menschen auf ein schrecklich unnormales, existenziell erschütterndes, extrem belastendes oder lebensbedrohliches Ereignis verstanden werden. Eine Reanimation, der Aufenthalt auf einer Intensivtherapiestation und selbst eine Herzkatheteruntersuchung können posttraumatische Belastungsstörungen nach sich ziehen. Charakteristische Symptome sind Intrusionen Wie oft fühlten Sie sich im Verlauf der letzten zwei Wochen durch die folgenden Beschwerden beeinträchtigt? überhaupt nicht (verstörende Erinnerungen, Alpträume tagsüber/ nachts), Vermeiden von Gedanken und Gefühlen, die an die auslösende Situation erinnern, negative Veränderungen in Kognition und Stimmung, Übererregung mit Herzrasen, Bluthochdruck und Schlafstörungen. Die Symptome dauern über einen Monat an und beeinträchtigen das Leben ernsthaft. Wenn die Diagnose einer psychischen Begleiterkrankung bei Herzerkrankung gestellt wurde, sollte sie auch aus prognostischen Gründen behandelt werden. Dafür ist eine enge Kooperation zwischen Hausarzt, Kardiologe, Psychosomatiker/ Psychotherapeut und Sozialdienst sinnvoll. An einzelnen Tagen An mehr als der Hälfte der Tage Beinahe jeden Tag Punkte 0 1 2 3 Wenig Interesse oder Freude an Ihren Tätigkeiten 0 1 2 3 Niedergeschlagenheit, Schwermut oder Hoffnungslosigkeit 0 1 2 3 Schwierigkeiten ein- oder durchzuschlafen oder vermehrter Schlaf 0 1 2 3 Müdigkeit oder Gefühl, keine Energie zu haben 0 1 2 3 Verminderter Appetit oder übermäßiges Bedürfnis zu essen 0 1 2 3 Schlechte Meinung von sich selbst; Gefühl, ein Versager zu sein oder die Familie enttäuscht zu haben Schwierigkeiten, sich auf etwas zu konzentrieren, z. B. beim Zeitunglesen oder Fernsehen Waren Ihre Bewegungen oder Ihre Sprache so verlangsamt, dass es auch anderen auffallen würde? Oder waren Sie im Gegenteil „zappelig" oder ruhelos und hatten dadurch einen stärkeren Bewegungsdrang als sonst? 0 1 2 3 0 1 2 3 0 1 2 3 Gedanken, dass Sie lieber tot wären oder sich Leid zufügen möchten 0 1 2 3 Gesamtwert=Addition der Spaltensummen ______+ ______+ ______ Abbildung 2: PHQ-9 Fragebogen Einschätzung: 9−11 Punkte: Depressive Episode im Zusammenhang mit einer vorliegenden Herzerkrankung, ≥12 Punkte: Major-Depression. connexiplus 65

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